WELT am SONNTAG: Die Euro-Zone ist nicht gerettet, sagt der Historiker Niall Ferguson. Sie ist eher zu einem zermürbenden Überlebenskampf verdammt.
Sogar Wirtschaftsnobelpreisträger müssen dazulernen. Noch vor drei Jahren offenbarte der deutsche Laureat Reinhard Selten der „Welt am Sonntag“ sein Erfolgsgeheimnis. „Ich schaue in den Börsenkursteil der Zeitung und picke mir die Aktien mit der höchsten Dividendenrendite und dem höchsten Substanzwert heraus. Mit dieser Strategie habe ich bislang noch stets die Märkte geschlagen.“
Doch mit dieser Methode dürfte Selten seit 2008 ziemlich schlecht gefahren sein. Denn die Regeln haben sich geändert. Statt schnöder Bewertungskennziffern zählt das Wissen um politische und historische Zusammenhänge. Wenn die Welt einen Zeitenwechsel erlebt, benötigen Anleger einen neuen Kompass.
Nicht nur verschieben sich die Machtpole vom Westen gen Osten. Auch innerhalb der Alten Welt bleibt kein Stein auf dem anderen. Die Währungsunion hat die Länder der Euro-Zone nicht zusammengebracht, sondern wirtschaftlich auseinandergetrieben. Die Kosten für ein Zusammenbleiben sind hoch, doch die Staaten sind mangels Alternativen nun dazu verdammt, zusammenzubleiben.
Das meint Harvard-Historiker Niall Ferguson, der die Finanzgeschichte kennt wie kaum ein Zweiter. Der Rebell der Geschichtswissenschaften kommt zum Gespräch direkt von seiner Buchpremiere aus den USA („The West and the Rest“). Im lockeren Outfit ist ihm nach der Landung in Berlin kein Jetlag anzumerken. Und er wundert sich als Erstes, als er aus dem Gate kommt, über die momentane Euphorie nach dem EU-Gipfel am Mittwoch.
Im Interview mit der „Welt am Sonntag“ bringt der gebürtige Schotte Ordnung ins neue Weltgefüge. Er erklärt, wie Anleger historische Umwälzungen erkennen und für sich nutzbar machen und warum trotz der Machtverschiebungen nach Osten kurzfristig auch China harte Zeiten bevorstehen. » | Autor: Holger Zschäpitz | Sonntag 30. Oktober 2011